08.01.2021, 17.05.2021, 18.05.2021
Einführung
08.01.2021, 17.05.2021, 18.05.2021 – Dies sind die Daten, an denen in diesem Jahr die Netzfrequenz unter 49,85 mHz fiel. Zur Erinnerung: Das letzte Mal war dies am 23.07.2020 und davor im Januar und April 2019. Solche Ereignisse kommen vor. Allerdings kommen sie in letzter Zeit häufiger vor.
Lassen Sie uns die Ereignisse vom 17.05.2021 und vom 18.05.2021 genauer betrachten.
Abschaltung des Umspannwerks Rogowiec
Der massive Frequenzeinbruch am 17.05. ist laut Pressemitteilung des Kraftwerkbetreibers PGE GiEK und Veröffentlichung der ENTSO-E auf eine Abschaltung des Umspannwerks in Rogowiec in Polen um 16:34 Uhr (UTC) zurückzuführen. Als Folge davon haben sich die neun Blöcke des Braunkohlekraftwerks Belchatów mit insgesamt 3460 MW Leistung vom Netz getrennt. (PGE GiEK-Pressemitteilung und ENTSO-E-Mitteilung).
Der Frequenzverlauf zum Zeitpunkt der Abschaltung zeigt deutlich, wie sich das Ereignis wellenartig über Europa entwickelt hat. Einerseits nimmt die Flanke des Abfalls ausgehend vom Ausgangspunkt weg ab. Andererseits nimmt auch das erste Durchsacken vom Ort des Ereignisses weg ab. Bei unserer Messstation in Málaga ist es gar nicht mehr vorhanden.
In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass dieses Ereignis den Auslegefall der vorzuhaltenden Primärregelleistung in Europa von 3000 MW überschritten hat (Operational Handbook Policy 1). Der Frequenzabfall konnte letztlich aber durch die Gegenmaßnahmen in Polen selbst gestoppt und das System wieder stabilisiert werden.
Die Rückführung des Systems in den Bereich des Reglertotbands (50 Hz +/- 20 mHz) hat letztlich ca. 20 Minuten gedauert. Die folgende Abbildung zeigt die Phasenwinkeldifferenz zur Messstation in Málaga. Diese Messstation ist am weitesten vom Ort des Geschehens entfernt und damit am wenigsten durch das Ereignis geprägt. Die Phasenwinkeldifferenzen der Messstationen sind als Index mit gleichem Startwert 0 dargestellt. Dadurch lassen sich grob Differenzen hinsichtlich der Netto-Einspeisung um die Standorte der Messstationen vergleichen. Zum Zeitpunkt des Ereignisses um 16:34 Uhr (UTC) kam es zu dem bereits identifizierten Auseinanderfallen. Dabei ist eine klare Ost-West-Teilung zu sehen: Der Leistungsabfall durch das Kraftwerk hat östliche Regionen stärker getroffen. Bremen und Sibiu liegen mit 815 bzw. 850 km in ähnlicher Entfernung zu Belchatów. Der Leistungsabfall ist in Sibiu aber fast 40 Prozent stärker ausgeprägt.
Die Abbildung der Phasenwinkeldifferenz gibt einen Rückschluss darauf, dass v.a. die westlichen Kraftwerke das System gestützt haben und maßgeblich zur Rückführung des UCTE Netzverbunds ins Reglertotband beigetragen haben.
Frequenzabfall zum Stundenbruch
Die folgende Abbildung zeigt den Beginn des Frequenzabfalls am 18.05.2021. Das Betrachtungsfenster entspricht dem oben dargestellten Zeitraum. Es ist deutlich sichtbar, dass der Frequenzabfall nicht auf ein spezifisches Ereignis zurückzuführen ist. Vielmehr ist dies der typische Verlauf zu Beginn des Frequenzabfalls im Zuge des Stundenbruchs.
Insgesamt dauerte das Absinken der Netzfrequenz, bis zum Erreichen des Minimums, über eine Minute (im Gegensatz zu 20 Sekunden beim Ereignis am 17.05.2021). Die Primärregelleistung setzte nach ungefähr 10 Sekunden ein, wobei sie nur geringe Wirkung entfaltete und hier nur leichte Unterschiede zwischen den Regionen zu sehen sind. Lediglich die Messstation in Spanien zeigt ein etwas längeres Durchsacken. Das Gesamtereignis von Beginn bis zur Rückführung der Frequenz ins Reglertotband dauerte knapp sieben Minuten.
Lassen Sie uns auch hier die Phasenwinkeldifferenz in Relation zur Messstation in Málaga betrachten.
Bei diesem Ereignis liegen die Kurven der anderen Messstationen fast durchgehend über der 0-Linie. Es ist auch ein Ost-West-Gefälle zu verzeichnen, allerdings in umgekehrter Richtung. Messstationen in Südwesteuropa weisen eine geringere (positive) Abweichung auf als solche weiter im Osten und im Südosten. Dies bedeutet, dass bei diesem Ereignis vermutlich in Spanien ein Leistungsdefizit vorherrschte. Denn die Verläufe von Málaga in Südspanien und Lleida in Nordspanien sowie Aignan in Südfrankreich liegen anfänglich relativ nahe. In der Phase der Frequenzrückführung bewegen sich allerdings die Phasenwinkeldifferenzen niedriger und auch mit einer geringeren Steigung als die der anderen Regionen. Dies bedeutet, dass die notwendige Leistung zur Rückführung des Systems in Richtung 50 Hz v.a. durch die Übertragungsnetzbetreiber der anderen Regelzonen abgerufen wurde.
Einzelfall oder systemischer Verlauf?
Lassen sich die Unterschiede zwischen beiden Ereignissen durch die Ursache der Ereignisse erklären oder durch systemische Bedingungen?
Vermutlich müssen wir die Frage zweigeteilt beantworten. Im ersten Fall, dem Frequenzeinbruch am 17.05., lag eine klare, lokalisierbare Ursache zugrunde - der Ausfall des polnischen Umspannwerks - zugrunde. Im zweiten Fall handelt es sich um ein außergewöhnlich starkes marktgetriebenes Ereignis. Betrachtet man zunächst den Abfall der Frequenz, sieht man eindeutig, dass es sich bei dem Ereignis am 17.05.2021 ursächlich technischer Natur war. Dadurch fiel die Flanke des Frequenzabfalls wesentlich steiler. Gleichzeitig wirkte direkt die Momentanreserve im Netz entgegen und die Primärregelleistung hat bestimmungsgemäß entgegengewirkt, auch wenn sie nicht ausreichte. Das Ereignis am 18.05.2021 war ein marktgetriebenes Ereignis. Wie schon im Beitrag Langzeitanalyse der Netzfrequenz bestätigt vorhergehende Kurzanalyse dargestellt, treten Handelseffekte v.a. um den Stundenbruch auf und führen insbesondere in den Abendstunden zu einem Frequenzabfall. Da der Frequenzeinbruch am 18.05.2021 keinen steilen Verlauf nahm, sondern kontinuierlich verlief, ist die bedämpfende Wirkung der Momentanreserve im Frequenzverlauf praktisch nicht zu sehen (obwohl sie durchaus den Abfall gebremst hat). Die geringe Wirkung der Primärregelleistung kann damit erklärt werden, dass zum Zeitpunkt des notwendigen Abrufs Kraftwerke herunterfuhren bzw. neue hochfuhren. Wie im Energiesektor oft kolportiert, wird in dieser Phase häufig die Primärregelung des Turbosatzes außer Kraft gesetzt. Diese Abschaltung der Primärregelleistung bzw. die kurzzeitige Veränderung der Reglerstatik dient dazu, bestimmte, vertraglich vereinbarte Leistungen anfahren zu können ohne daß die PRL störend eingreift. Somit standen manche Kraftwerke dem Netzverbund nicht zum Ausregeln zur Verfügung.
Die Rückführung des Systems in den Bereich des Reglertotbands erfolgte zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten.
Fazit
Die beiden Ereignisse weisen auf zwei wesentliche Punkte hin:
-
Es gibt ganz offensichtlich unterschiedliche Effekte auf unser Energiesystem, die in der Wirkung auf die Frequenzabweichung identisch sind, aber einen komplett unterschiedlichen Verlauf nehmen. Während das Ereignis am 17.05.2021 in die Kategorie der stochastischen Frequenzabfälle einzuordnen ist, war der Frequenzabfall am 18.05.2021 deterministisch. Deterministisch, denn Handelsartefakte zu dieser Uhrzeit sind bekannt. Folglich konnte das erste Ereignis von Markteilnehmern nicht vorhergesehen werden. Vielmehr haben die vorgesehenen Mechanismen in gewohnter Weise gut gegriffen. Das Ereignis am 18.05.2021 zeigt, dass hierfür andere Mechanismen zur Gegensteuerung möglich wären. Kraftwerke folgen in ihrer Fahrweise Marktsignalen. Ein solches Ereignis könnte durch Anpassung von Produktdefinitionen oder durch neu zu entwickelnde ereignisgerichtete Produkte verhindert werden.
-
Wir können generell nicht von einem Ost-West-Unterschied in der Systemregelung sprechen. Am 17.05.2021 hatten aus unserer Sicht eindeutig die westeuropäischen Regionen das System gestützt. Am 18.05.2021 waren es west- und osteuropäische Regionen die gemeinsam eingegriffen haben. Wichtig ist allerdings, die Systemregelung als gemeinsame Aufgabe zu verstehen. Daher stellt sich natürlich die Frage der Sozialisierung der Kosten. Übertragungsnetzbetreiber sind für die Ausregelung ihrer Regelzone zuständig. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber übernehmen dies gemeinsam. Damit fallen Kosten des Regelenergieeinsatzes jeweils national an. Ist die Ursache eines Ereignisses mit gesamteuropäischer Wirkung allerdings eindeutig identifizierbar, sollten die Kosten demensprechend zugeordnet werden und nicht national sozialisiert werden. Gleiches gilt entsprechend auch, wenn bestimmte Übertragungsnetzbetreiber bei einem großen Ereignis explizit in die Bresche springen, um das Gesamtsystem zu retten, wie etwa die französischen und italienischen Übertragungsnetzbetreiber RTE und Terna mit ihren Lastabwürfen bei der Netzaufspaltung am 08.01.2021 (UCTE-Netzfrequenz sinkt am 08.01.2021 um 14:05 Uhr (CET) unter 49,75 Hz).
Der Vergleich der beiden Ereignisse zeigt deutlich, dass unsere Übertragungsnetzbetreiber hervorragende Arbeit leisten, auch in der aktuell sehr volatilen Zeit. Wichtig erscheint daher, dass auch die Marktseite stärker unterstützend wirken kann. Hierfür bräuchte es entsprechende Produkte bzw. mehr Flexibilität in der Ausgestaltung der Produkte. Denn Ursachen von Frequenzabfällen können klassifiziert und dementsprechend Kosten nach dem Verursacherprinzip zugeordnet werden. Dies setzt aber auch voraus, dass nicht nur die systemtechnische Seite vertreten durch die Übertragungsnetzbetreiber europaweit kooperiert. Vielmehr muss dies auch im Marktdesign zur Systemdienlichkeit nachgezogen werden.