Systemdienliches Mitregeln durch Batterien

(Weiterführende Informationen finden sich im entsprechenden Artikel in den Energiewirtschaftlichen Tagesfragen, Ausgabe 74, Heft 11, ab S. 14)

Hintergrund

In Deutschland trat zum 01.10.2024 eine neue Fassung des Standardbilanzkreisvertrages in Kraft. Ein wesentlicher Aspekt wurde darin allerdings nicht angefasst, die sogenannte Verpflichtung zum physischen Bilanzkreisausgleich gemäß Artikel 5 ([1], [2]). Bilanzkreisverantwortliche (BKV) sind gemäß Artikel 5(1) zu einer ausgeglichenen Viertelstunden‐Leistungsbilanz verpflichtet, was de facto nur unter sehr speziellen Bedingungen möglich ist. Folglich ist jeder BKV für seinen und nur seinen Bilanzkreis verantwortlich.

Das Positionspapier Bilanzkreistreue [3], entstanden in Folge eines missbräuchlichen Verhaltens einzelner BKVs, stellt alle BKVs unter Generalverdacht, sich nicht systemdienlich verhalten zu wollen. Dabei sollten BKVs bereits aus Eigeninteresse einen ausgeglichenen Bilanzkreis und damit an Systemstabilität anstreben. Ein Ansatz nach dem Motto, „wenn sich jeder selbst hilft, ist jedem geholfen“, greift zu kurz, wie Ausgleichsenergiepreise um 15000 EUR/MWh Anfang Juni 2024 aufgrund eines Mangels an Regelleistung zeigen. Solche Knappheiten könnten durch systemdienliches Mitregeln vermieden und darüber hinaus weitere Einsparungen erzielt werden. Maßnahmen des systemdienlichen Verhaltens von Marktakteuren werden bereits lange in Deutschland ökonomisch und juristisch diskutiert (bspw. [4], [5] oder [6]).

Aufgrund technischer Entwicklungen und Anpassungen von Marktregeln ergäben sich aktuell durch eine Vielzahl flexibler Akteure Chancen für die Einführung systemdienlichen Mitregelns. Der dynamische Umgang anderer Länder mit Flexibilitäten gibt Beispiele zur Umsetzbarkeit. Im Wesentlichen spannen sich Strategien des systemdienlichen Mitregelns zwischen zwei Polen auf, der standalone‐Lösung, wie vereinzelt in Großbritannien, oder gemeinsam mit trägeren Akteuren, wie in Großbritannien und den Niederlanden.

Dass ein systemdienliches Mitregeln aus Systemsicht und aus Betreibersicht in Deutschland ökonomisch sinnvoll sein kann, soll im Folgenden anhand eines Beispiels einer Batterie gezeigt werden. Hierzu werden öffentlich verfügbare Daten und Informationen für den Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 verwendet.

Systemdienliches Mitregeln

Abbildung 1

Abbildung 1: Entwicklung Ausgleichsenergie

Betrachten wir zunächst die Entwicklung der Ausgleichsenergie (netztransparenz.de). Abbildung 1 zeigt links den wöchentlichen Viertelstundendurchschnitt für den NRV‐Saldo und den regelzonenübergreifenden einheitlichen Bilanzausgleichsenergiepreis (reBAP), rechts den Viertelstundendurchschnitt über den Tag. NRV‐Saldo und reBAP schwanken recht stark über die Wochen. Typische Ausreißer zeigen sich um Weihnachten. Man sieht auch klar die Preisverwerfungen Anfang Juni 2024 mit einem reBAP von über 230 EUR/MWh.

Tagesmuster mit hohen Morgen‐ und Nachmittagszeiten und einer niedrigen Mittagsphase sind auf der rechten Seite zu erkennen. Wegen des Stundenwechsels sind zudem die ersten Viertelstunden von stärkeren Schwankungen beeinflusst als die restlichen. Positive und negative NRV‐Abweichungen halten sich ziemlich die Waage mit einer mittleren positiven Abweichung von 44,19 MW und einem Verhältnis von positiven zu negativen Viertelstunden von 1,14. Der reBAP ist mit 82,97 EUR/MWh und einem Verhältnis von positiven zu negativen Viertelstunden von 4,20 stärker positiv. Dennoch schwanken beide recht stark: Im Mittel liegt die Viertelstunden‐Standardabweichung des NRV bei 261,36 MW. Aufgrund der schnellen Anpassbarkeit der Fahrweise könnten Batterien diese sehr effizient ausgleichen helfen. Dies könnte bilanzkreisbezogen oder gesamt‐systemdienlich erfolgen.

Die erste Option würde dem aktuell geltenden Rechtsverständnis entsprechen, wenn die Batterie Teil des Bilanzkreises wird. Denn Art. 5(1) des Bilanzkreisvertrags sieht die Verantwortung „für das ordnungsgemäße Fahrplanmanagement und für den wirtschaftlichen Ausgleich verbleibender Bilanzabweichungen“ allein beim zuständigen BKV.

Aus Gesamtsicht effizienter ist die zweite Option eines systemdienlichen Puffers. Sie ist aber im aktuellen Vertragsrahmen nicht vorgesehen. Im Sinne einer Dienstleistung ist ein bewusstes Abweichen eines Bilanzkreises aus Systemsicht dann geboten, wenn dieser effizienter (technisch einfacher und kostengünstiger) einen Ausgleich schaffen kann als andere Bilanzkreise im Zuge der Bilanzkreistreue.

Bestimmung der Richtung des Mitregelns

Entscheidend für Option 2 ist die Information, ob der NRV in der kommenden bzw. aktuellen Viertelstunde positiv oder negativ ist. Aktivierte Regelleistungsanbieter erhalten per aFRR‐Sollwert eine sekündlich aktuelle Information über den NRV‐Istzustand. Anderen Marktakteuren fehlt dieses Signal. Sie müssen eine Abschätzung der Abweichungsrichtung des NRV vornehmen.

Für Batterien bietet bspw. der von Gridradar veröffentlichte aFRR‐Richtung‐Forecast eine Indikation. Er gibt in jeder Viertelstunde eine Abschätzung, ob die dominante aFRR‐Richtung positiv oder negativ ist. aFRR war zwischen Juli 2023 und Juni 2024 mit knapp 99 Prozent des Abrufvolumens die zentrale Regelleistungsart. Die Differenz zwischen positivem und negativem Abruf ist zu 75 Prozent mit dem NRV‐Saldo korreliert. Daher eignet sich der aFRR‐Richtung‐Forecast als Signal der NRV‐Richtung, zumal kein anderes vergleichbares Signal veröffentlicht wird.

Der aFRR‐Richtung‐Forecast nutzt u.a. die Information zur Vorviertelstunde. Sobald ein ÜNB seinen aFRR‐Abruf veröffentlicht, wird der aFRR‐Richtung‐Forecast errechnet und minütlich bis zum Ende der Viertelstunde aktualisiert. (i) Dabei wird er mit jeder Aktualisierung präziser. Die erste Veröffentlichung stimmt bereits zu 65 Prozent mit der tatsächlichen Richtung des NRV‐Saldos überein. (ii) Im Zeitraum zwischen Juli 2023 und Juni 2024 lag der früheste Veröffentlichungszeitpunkt in mehr als 50 Prozent der Viertelstunden zwischen 4 und 6 Minuten, in knapp 80 Prozent zwischen 4 und 7 Minuten nach dem Viertelstundenwechsel. Damit hätte eine Batterie 9 bzw. 8 Minuten um zu reagieren.

Im Folgenden soll mit einer 1MW/1MWh‐Batterie gezeigt werden, wie unterschiedliche Nutzungsbedingungen auf Systemdienlichkeit, Zyklenzahl und Rentabilität wirken. Unterstellt wird, dass die Batterie nur für die Bereitstellung von Ausgleichsenergie genutzt wird und sich systemdienlich verhalten muss, wenn sie zur Verfügung steht. (iii)

Illustration Mitregeln

Abbildung 2

Abbildung 2: Ladeverhalten, 19.06.2024

Abbildung 2 zeigt beispielhaft, wie das Ladeverhalten am Mittwoch, 19.06.2024, ausgesehen hätte. Links sieht man das Signal aus dem aFRR‐Richtung‐Forecast, die tatsächliche NRV‐Richtung und den Zeitpunkt der Verfügbarkeit des Signals, rechts den state of charge (SOC) und den Erlös je Viertelstunde. Das Signal war an diesem Tag zumeist nach 5 bzw. 6 Minuten verfügbar. Das Signal und die tatsächliche NRV‐Richtung waren in 75 Prozent der Viertelstunden identisch. Es konnte allerdings nur in rund der Hälfte der Viertelstunden genutzt werden, da der SOC bereits bei 0 bzw. bei 1 war. Zudem macht die Batterie einen Verlust, wenn sie in die falsche Richtung speichert. Insgesamt hätte die Batterie am 19.06.2024 3,42 MWh positive und 3,1 MWh negative Ausgleichsenergie einsparen können. Der Gesamterlös hätte 366,13 EUR betragen.

Nutzung der Leistungskapazität

Das Beispiel demonstriert das Potenzial systemdienlichen Mitregelns für System und Batteriebetreiber. Es zeigt aber auch, dass die Batterie nur in etwa der Hälfte der Zeit eingesetzt wurde. Ein Batteriebetreiber wägt daher ab, wie er die Batterie bereitstellt. Es könnte sinnvoll sein, die Leistungskapazität auf mehrere Teilzyklen zu verteilen. Durch die Verringerung der Leistungskapazität steht die Batterie dann in mehr Viertelstunden zur Verfügung.

Abbildung 3

Abbildung 3: Auswirkung der Teilzyklenzahl

Abbildung 3 zeigt, dass im Betrachtungszeitraum mit zunehmender Anzahl an Teilzyklen der Erlös allerdings sinkt. (iv) Eine Drosselung der Leistungskapazität ist daher in der Jahresbetrachtung nicht sinnvoll. Andererseits senkt eine hohe Leistungskapazität die Zahl der Vollzyklen. Daher kann eine Batterie mit zyklenabhängiger Degradation durch mehr Teilzyklen länger genutzt werden. Langfristige Analyse Bei einer Investitionsentscheidung ist von Interesse,

  1. welches Renditepotenzial über die Lebenszeit einer Batterie besteht und
  2. wie eine Batterie dimensioniert werden sollte.

Abbildung 4

Abbildung 4: Langfristige Auswirkung der Teilzyklenzahl

Bei 10000 Vollzyklen entspräche gemäß Abbildung 4 die Lebensdauer bei maximaler Ausnutzung der Leistungs‐ und Speicherkapazität etwa 6,6 Jahren. Mit steigenden Teilzyklen steigt die Lebensdauer und das Erlöspotenzial. Die Renditeänderung über die Zeit verdeutlicht allerdings, dass die Batterie bei maximaler Ausnutzung der Leistungskapazität betrieben werden sollte: Selbst mit aktuellen Anschaffungskosten von rund 375 TEUR/MWh [7] führt ein Ersatz der Batterie nach 6,6 Jahren zu einer höheren Rendite als der Batteriebetrieb in mehr Teilzyklen. Sinken die Batteriekosten bis 2030 auf 200 bis 300 TEUR/MWh, steigt die Kosteneffizienz weiter.

Abbildung 5

Abbildung 5: Sensitivitätsanalyse Speicher‐ und Leistungskapazität

Für ein möglichst effizientes systemdienliches Mitregeln werden im Folgenden Speicherkapazität und Leistungskapazität verglichen. Abbildung 5 zeigt links den Erlös je MWh bei Anpassung der Leistungskapazität und der Speicherkapazität in Relation zur ursprünglich unterstellten 1MW/1MWh‐ Batterie. Rechts ist das Verhältnis der Vollzyklen in Relation zur ursprünglich unterstellten 1MW/1MWh‐Batterie dargestellt. Aus Betreibersicht bietet das Verhältnis 1MW/1MWh das höchste Erlöspotenzial. Ausnahmen bilden Batterien mit größerer Speicherkapazität nur bei stets voller Leistungskapazität.

Für die Netzdienlichkeit ist hingegen die Flexibilität der Batterie entscheidend. Mehr Vollzyklen je Zeiteinheit steigern die Systemdienlichkeit. Erwartungsgemäß sind hierfür Batterien mit höherer Leistungskapazität im Vorteil. Es fällt allerdings auf, dass diese unterhalb ihres Leistungsfaktors bleiben. Dies bedeutet, dass bspw. zwei 1MW/0,5MWh‐Batterien einer 2MW/1MWh‐Batterie vorzuziehen sind.

Fazit

Unterschiedliche Formen systemdienlichen Mitregelns sind außerhalb Deutschlands gängige Praxis. Es bietet entscheidende Effizienzvorteile gegenüber der unbedingten Bilanzkreistreue. Denn es kann aufgrund individueller technischer Möglichkeiten sinnvoll sein, dass ein anderer BKV Ungleichgewichte ausgleicht. Es kann aber auch aus Systemsicht sinnvoll sein, systemdienliches Mitregeln zuzulassen. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass Bilanzkreise in Ihrer Mehrheit kein Interesse an einer Systemschieflage haben können.

Am Beispiel einer Batterie wird hier gezeigt, dass diese besonders effizient systemdienlich mitregeln und so den Bedarf an Regelenergie reduzieren kann – selbst unter Verwendung eines unabhängigen Signals, des Gridradar aFRR‐Richtung‐Forecast. Bereits das rein systemdienliche Mitregeln stellt einen Business Case für Batteriebetreiber dar.

Vor dem Hintergrund neuer Flexibilitäten ist das Festhalten an der unbedingten Bilanzkreistreue zu hinterfragen. Unstrittig ist, dass systemdienliches Mitregeln eines Regulierungsrahmens bedarf, der über die Zeit an die sich ändernde Markt‐ und Systemsituation anzupassen ist.

Endnote

(i) Eine Beschreibung des Gridradar aFRR‐Richtung‐Forecast findet sich hier: https://gridradar.net/de/blog/post/forecasting-modell-fuer-die-richtung-des-srl-abrufs-deutschland

(ii) Der erste aFRR‐Richtung‐Forecast stimmt mit der tatsächlichen aFRR‐Abruf‐Richtung bereits zu 75 Prozent überein.

(iii) Diese Restriktionen bilden die Baseline für den Einsatz von Batterien. Denn sie können sich nicht über mehrere Märkte optimieren und sie können sich nicht über die Zeit optimieren. Aufgrund der Skalierbarkeit von Batterien ist die Beschränkung auf 1MW/1MWh lediglich zu Illustrationszwecken so gewählt.

(iv) Eine Ausnahme war bspw. der 03.06.2024 mit dem hohen reBAP an die 15000 EUR/MWh in mehreren Viertelstunden. Hier hätte eine höhere Teilzyklenzahl den Erlös erhöht.

Literatur

1 Bundesnetzagentur, 2020a: Standardbilanzkreisvertrag

2 Bundesnetzagentur, 2024: Standardbilanzkreisvertrag

3 Bundesnetzagentur, 2020b: Positionspapier Bilanzkreistreue

4 Ocker, Fabian und Karl‐Martin Ehrhart, 2017: The „German Paradox“ in the balancing power markets, Renewable and Sustainable Energy Reviews 67, S. 892‐898

5 Koch, Christopher und Lion Hirth, 2019: Short‐term electricity trading for system balancing: An empirical analysis of the role of intraday trading in balancing Germany’s electricity system, Renewable and Sustainable Energy Reviews 113, S. 1‐11

6 Wessling, Hendrik, 2021: Bilanzkreise: Der Bewirtschaftungsgrundsatz des „aktiven Mitregelns“ und Transparenzpflichten der Übertragungsnetzbetreiber, Recht der Energiewirtschaft 69, S. 61‐75

7 Wille‐Hausmann et al., 2022, Fraunhofer ISE Positionspapier: Batteriespeicher an ehemaligen Kraftwerksstandorten

(Bild: Beech Ridge Energy Storage System 20241107 Invenergy_Beech_Ridge_Energy_Storage_System.jpg, Autor: Z22, CC BY-SA 4.0)