Forecasting Modell für die Richtung des SRL Abrufs in Deutschland

Einführung

Regelleistungs- und -arbeitsmärkte unterliegen aktuell gravierenden Veränderungen, sei es die Weiterentwicklung in Richtung „free bids“, die europäischen Integrationsentwicklungen wie PICASSO, MARI oder TERRE oder auch das außerhalb Deutschlands finanziell entgoltene „passive balancing“. Diese Maßnahmen verfolgen das Ziel, hinreichende Flexibilität für die Bereitstellung von Regelleistung möglichst effizient und kostenminimierend zu generieren.

Erzeuger, Portfolios und große Verbraucher optimieren aber auch häufig selbst ganz kurzfristig: Sie nutzen Ihre Informationen zur aktuellen Netzsituation zur Anpassung der Fahrweise ihres Kraftwerksparks oder ihrer Verbrauchseinheit. Da der Handel viertelstundenbasiert erfolgt, muss entsprechend auch die Fahrweise viertelstundenbasiert angepasst werden.

Problematisch ist dabei, dass Informationen zur aktuellen Regelsituation nicht vorliegen und damit auch keine Informationen für die nächste Viertelstunde zur Verfügung stehen. Die Betrachtung der Veröffentlichungen zur SRL-Aktivierung der zurückliegenden Viertelstunde zeigt allerdings, dass diese in der Regel spätestens 10 Minuten nach dem Beginn der Viertelstunde von allen deutschen ÜNBs zugänglich sind. Üblicherweise stellt Transnet BW die Daten ca. 5-6 Minuten nach dem Viertelstundenwechsel bereit, anschließend 50 Hertz und dann Amprion und TenneT.

Diese Informationen gepaart mit einem statistischen Modell nutzt Gridradar für die Prognose der Richtung des Viertelstunden-Regelleistungsbedarfs. Die langfristige Frequenzanalyse ermöglicht so eine Prognoseeffizienz von durchschnittlich 80 Prozent, d.h. in vier von fünf Viertelstunden trifft die Vorhersage der Richtung der SRL-Aktivierung zu.

Im Folgenden werden das Prognosemodell und seine Robustheit vorgestellt.

Datengrundlage

Das SRL-Forecast-Tool schätzt die Richtung des durchschnittlichen SRL-Abrufs der aktuellen Viertelstunde. Letzte Informationen der vorausgehenden Viertelstunde bilden die Grundlage des Forecasts. Da für die aktuelle Viertelstunde keine Informationen verfügbar sind, bietet der Forecast dieser Viertelstunde innerhalb der Viertelstunde hilfreiche Informationen für die Anpassung der Fahrweise von Anlagen. Die Information zur SRL-Abrufrichtung wird mehr als fünf Minuten vor Ablauf der Viertelstunde zur Verfügung gestellt. Dadurch können Anbieter diese Information noch für ihre Optimierung des innerdeutschen Intradayhandels der nächsten Viertelstunde nutzen.

SRL-Abrufwerte der Vorviertelstunde sind die letzten verfügbaren Informationen zum SRL-Bedarf. Diese werden durch jeden einzelnen ÜNB als 15min-Durchschnitte veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgt allerdings erst eine gewisse Zeit nach Ende der jeweiligen Viertelstunde je nach Netzbetreiber zu einem anderen Zeitpunkt.

Das Gridradar SRL-Forecast-Modell hat zum Ziel, die Richtung der SRL-Aktivierung zum Zeitpunkt t, kurz SRL(t), nach einem Zeitintervall Δt<15 min nach dem Ende der letzten Viertelstunde vorherzusagen, siehe Abbildung unten. Dabei wird berücksichtigt, dass die SRL-Abrufdaten der verschiedenen Netzbetreiber nach einem individuellen Rhythmus veröffentlicht werden. Um stets den aktuellen Stand der Informationen verfügbar zu haben, prüft daher das Modell kontinuierlich, welche Eingangsgrößen gerade verfügbar sind.

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Neben den SRL-Abrufwerten gehen weitere frequenzabhängige Größen in das zugrundeliegende Modell ein, die Gridradar mit Hilfe der eigenen, über Deutschland und Europa verteilten Messstationen kontinuierlich aufzeichnet. Das verteilte Messsystem ermöglicht eine umfassende Berücksichtigung der aktuellen Netzsituation in Deutschland und in deutschen Nachbarländern. Die Kombination aus Informationen der ÜNB und Gridradar-eigenen Messungen sowie weiteren externen Eingangsgrößen ermöglicht einen äußerst präzisen Forecast des mengengewichteten Durchschnitts der SRL-Abrufrichtung der aktuellen Viertelstunde.

Ziel des Forecasts ist es, kurzfristig zusätzliche Informationen zur aktuellen und bevorstehenden Netzsituation bieten zu können. Zielgruppe des Produkts sind daher v.a. Händler, Bilanzkreisverantwortliche und Verteilnetzbetreiber. Durch die Information des SRL-Forecast-Modells können Interessenten ihr Portfolio an die Netzsituation anpassen bzw. frühzeitig verteilnetzseitig durch entsprechende Schaltungen vorbereiten oder intervenieren.

Die Abbildung unten zeigt ein Wasserfalldiagramm der viertelstündlichen Durchschnitte der abgerufenen SRL in Deutschland für das Jahr 2021. Erkennbar sind die aus der Netzfrequenzbetrachtung bekannten Muster (siehe hier) auch im Regelleistungsabruf. Zwei typische Regelleistungsabrufe fallen direkt auf: Stündlich wiederkehrende Abrufe sind auf Handelsartefakte zurückzuführen, wenn nämlich Kraftwerke zum Stundenbruch oder zum Viertelstundenbruch hoch- bzw. heruntergeregelt werden. PV-Einspeisung führt zu Regelleistungsabrufen zum Sonnenaufgang und zum Sonnenuntergang. Dies zeigt der „Sonnenbauch“ in vertikaler Richtung.

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Der gesamte betrachtete Zeitraum für diese Analyse ist Januar bis Oktober 2021. Unten ist die Verteilung der 15minütigen Durchschnittswerte des SRL-Abrufs abgebildet. In 53% der Fälle war der Abruf negativ, in 47% positiv. Insgesamt wirkt die Verteilung äußerst symmetrisch.

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Hätte ein Händler gemäß erwartet, dass kontinuierlich negative SRL aktiviert wird, lag er im Betrachtungszeitraum in 53% der Viertelstunden richtig. Dies bedeutet, dass die Abrufrichtung annähernd ausgeglichen ist. Ein Händler hätte also annähernd genauso gut oder schlecht sein Portfolio optimiert, als wenn er die Information zum SRL-Abruf ignoriert hätte.

Die Kombination der Information des Abrufs mit weiteren aktuellen Netzinformationen ermöglicht eine Präzisierung des Forecasts. Der Grad der Verbesserung und die Robustheit der Information soll im Folgenden anhand von statistischen Auswertungen demonstriert werden.

Um die Performance des Forecasts zu analysieren, wurde ein Modell mit Daten von Januar bis August 2021 (Training-Set) trainiert. Anschließend wurde das Modell mit SRL-Abrufwerten zwischen September und Oktober getestet (Test-Set).

Output und Performance des Gridradar Forecast-Modells

Unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit von Informationen und dem dadurch erwachsenden Mehrwert wurde die höchste Präzision bei Δt=10 min mit einer Richtigkeit des Forecasts von 81.5 Prozent erreicht. Dies ändert sich für eine andere Wahl der Training- und Test-Sets nicht – die in etwa gleiche Präzision wurde für Test-Sets von November bis Dezember bzw. für Januar 2022 erreicht, was die Robustheit des Modells auch bei sich ändernden Umfeldfaktoren wie etwa durch Feiertage oder jahreszeitbedingte Wetterverhältnisse demonstriert.

Das Gridradar Forecast-Modell versieht die erwartete SRL-Abrufrichtung mit einer Wahrscheinlichkeit. Je besser sich die Forecast-Periode vorhersagen lässt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit. Die Gegenüberstellung von Wahrscheinlichkeit und tatsächlicher Abrufhöhe zeigt, dass besonders hohe Wahrscheinlichkeiten mit einer starken SRL-Abrufmenge verbunden sind. Geringere Wahrscheinlichkeiten deuten hingegen an, dass die Höhe der SRL-Abrufmenge schlechter vorhergesagt werden kann. Die Schätzung einer Wahrscheinlichkeit hat den Vorteil, dass Entscheidungen auch auf Grundlage dieser Wahrscheinlichkeit getroffen werden können.

Die Abbildung unten links zeigt die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit eines positiven Abrufs im Test Set im Vergleich zum eigentlichen Abruf. Auf der horizontalen Achse sind die tatsächlichen Abrufmengen abgetragen, auf der vertikalen Achse die Wahrscheinlichkeit für einen positiven SRL-Abruf. Die Abbildung rechts zeigt die entsprechenden negativen Abrufwahrscheinlichkeiten.

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Betrachtet man zunächst die Enden der Verteilung, zeigt sich, dass hohe (positive und negative) SRL-Abrufe besser vorhergesagt werden als niedrige (um die 0MW). Beschränken wir uns zum Beispiel auf die Fälle im Test Set bei welchen mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 65% (im folgenden p̅ genannt) eine Abrufrichtung vorhergesagt wird (was 75% aller Samples im Test Set entspricht), so ergibt sich eine korrekte Vorhersage der Abrufrichtung von über 87%. Dies ist unten für verschiedene Wahrscheinlichkeiten veranschaulicht. Für p̅=50% wird für jedes sample im Test Set eine positive oder negative Abrufrichtung vorhergesagt. Das linke Ende der Abbildung entspricht also dem gesamten Modell. Beschränkt man sich nun auf Fälle mit entsprechend höherer Vorhersagewahrscheinlichkeit, ergeben sich auch deutlich höhere Trefferquoten.

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Einfluss des Zeitfensters

Untersuchen wir die Performance des Forecasts in Abhängigkeit von Δt, unter Berücksichtigung der Betreiber-abhängigen Publikationszeitpunkte der SRL Abrufwerte, so zeigt sich dass unser Forecast für Δt=6 Minuten bereits zu 79,5% zutrifft. Für Δt=10 Minuten ergibt sich eine maximale Trefferwahrscheinlichkeit von 81,5%. Danach ergab sich keine Verbesserung mehr, was vermutlich auf die 5-minütige Bereitstellungsfrist der Sekundärregelenergie zurückzuführen ist.

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Zusammenfassung und Ausblick

Die vorausgehende Analyse zeigt, dass es Händlern/ Bilanzkreisverantwortlichen und Kraftwerksbetreibern durchaus möglich ist, ihr Portfolio kurzfristig auf die Netzsituation anzupassen. Öffentlich bereitgestellte Informationen der Netzbetreiber reichen dazu allerdings nicht aus. Erst die Kombination mit weiteren Echtzeitinformationen ermöglicht es, noch rechtzeitig vor Abschluss der laufenden Viertelstunde das Portfolio nachzuoptimieren. Dies hat zwei positive Effekte: Einerseits reduziert es die Kosten für Bilanzkreisverantwortliche. Denn die umgelegten Ausgleichsenergiekosten können massiv gesenkt werden. Andererseits senkt die netzdienliche Nachoptimierung der Fahrweise den Abruf von Regelleistung insgesamt. Passive Balancing wird zwar aktuell noch nicht in Deutschland mit finanziellen Anreizen versehen, wie bspw. in den Niederlanden. Dennoch ergeben sich für Portfoliomanager Einsparpotenziale durch intelligentes Kurzfristmanagement unter Verwendung von Echtzeitinformationen über das Netz.