Interkonnektorausfall FR - GB
Am 01.09.2023, um 09:17 Uhr (UTC), kam es zu einer unerwarteten Reduktion des Exports von Frankreich nach Großbritannien um annähernd 1000 MW gemäß Transparency ENTSO-E. Dies entspricht grob der Leistung eines kleineren bis mittleren Kernkraftwerks und damit rund 30 Prozent des Nettoimports und rund 3 Prozent des Konsums von Großbritannien zu diesem Zeitpunkt. Wie bereits beim Ausfall des NSL-Interkonnektors am 08. Juni 2023 zeigt sich auch hier wieder, wie bedeutsam die Verbindungen zu den Nachbar-Synchrongebieten für Großbritannien sind.
Konsequenzen und Gegenmaßnahmen
Abbildung 1: Vergleich Frequenz UCTE - UKTSOA
Abbildung 1 zeigt die Frequenzsprünge, die die Leistungsunterbrechung ausgelöst hat: In Großbritannien sank die Frequenz im Mittel um rund 350 mHz. Im UTCE-Gebiet war der Wegfall der Interkonnektorleistung zwar auch spürbar. Allerdings war der Frequenzanstieg mit rund 50 mHz wesentlich schwächer ausgefallen.
Die nähere Betrachtung der Frequenzsprünge zum Zeitpunkt des Ausfalls (Abbildung 2) verdeutlicht die bekannten Effekte aus der Nähe zum Ausfall: Messstationen näher am Ausfallort zeigen stärkere Reaktionen als solche weiter entfernt vom Ausfallort. Auffallend ist allerdings der Gleichlauf des Frequenzabfalls in London und in Manchester zum Zeitpunkt des Ereignisses. Dies deutet darauf hin, dass die Netzsituation zum Zeitpunkt des Ausfalls in Großbritannien weitgehend ausgeglichen war (im Vergleich bspw. zum Zeitpunkt des NSL-Ausfalls am 08. Juni 2023).
Abbildung 2: Lokaler Frequenzvergleich
Die weitere Analyse macht deutlich, dass Großbritannien großes Glück mit dem Zeitpunkt des Ausfalls hatte: Der Interkonnektorausfall passierte quasi nach der Morgenrampe an einem Tag mit recht viel Konventionellenerzeugung als gerade die Sonneneinstrahlung massiv zunahm. Zum Zeitpunkt des Ausfalls betrug der Anteil von Sonne und Wind am britischen Strommix rund 16 Prozent. Der Großteil der Erzeugung erfolgte aus Erdgas (ca. 58 Prozent) und Kernenergie (ca. 19 Prozent). Der schnelle Anstieg der Sonneneinstrahlung hat dazu geführt, dass ca. 473 MW (= 53 Prozent) des Wegfalls der Interkonnektorleistung innerhalb von 25 Minuten durch Sonnenergie ersetzt werden konnten, wie Abbildung 3 zeigt. Der restliche Wegfall wurde v.a. durch die Steigerung der Erzeugung aus Erdgas ersetzt.
Abbildung 3: Erzeugungsanpassung in Folge des Interkonnektorausfalls
Regionale Auswirkungen
Für die regionale Analyse vergleichen wir die Phasenwinkeldifferenz von Messstationen die unterschiedlich nahe am Ort des Ausfalls stehen mit solchen, die aufgrund ihrer räumlichen Distanz möglichst wenig durch den Effekt beeinflusst werden aber dennoch im gleichen Synchrongebiet stehen. Wie Abbildung 2 zeigt, gestaltet sich der Vergleich zu diesem Zeitpunkt für Großbritannien schwierig, da das System weitgehend ausgeglichen ist und sich damit Effekte im System sehr schnell ausbreiten. Damit wird auch ein weiter entfernt liegender Ort schnell und in der Wirkung ähnlich stark getroffen wie näher am Ort des Ereignisses allokierte Messstationen. Daher zeigt die folgende Betrachtung eine sehr konservative Darstellung für die Situation in Großbritannien.
Abbildung 4: Regionale Auswirkungen des Interkonnektorausfalls
Wir betrachten im Folgenden die Phasenwinkeldifferenzen von London und Manchester im Vergleich mit Strathclyde sowie die Phasenwinkeldifferenzen von Belfort und Wien im Vergleich mit Kreta. Während Belfort und Wien durch den Ausfall quasi nicht beeinflusst werden, zeigen sich sehr starke Schwankungen in der Phasenwinkeldifferenz von London und insbesondere von Manchester (Abbildung 4).
Die nähere Betrachtung um den Ausfallzeitpunkt in Abbildung 5 verdeutlicht, dass nicht nur die Schwankungen in Manchester wesentlich stärker sind, sondern auch der Effekt insgesamt stärker in Manchester zum Tragen kommt als in London. Zu beachten ist, dass London knapp 300 km näher am Ausfallort liegt als Manchester.
Abbildung 5: Der Interkonnektorausfall in der lokalen Betrachtung
Die geringere Auswirkung in der Region um London deutet darauf hin, dass die Vielzahl der erzeugenden Gaskraftwerke in Südostengland mit ihren Schwungmassen den Effekt abgemildert haben, während die Kohlekraftwerke in Mittelengland weitgehend nicht am Netz waren und damit nicht zur Abmilderung des Effekts beitragen konnten.
Zusammenfassung
Es bleibt festzustellen, dass gerade kleinere Synchrongebiete wie im aktuellen Fall Großbritannien wesentlich von der Funktionalität von Interkonnektoren abhängen. Einerseits tragen diese wesentlich zur Systemstabilisierung bei und ermöglichen erst den energetischen Austausch und auch Ausgleich zwischen Synchrongebieten. Dies ist definitiv energietechnisch und marktseitig wünschenswert und wird auch durch die aktuellen Bestrebungen der Marktintegration technischerseits wie auch marktseitig unterstützt. Andererseits ergeben sich für Marktakteure und Händler Chancen, wenn sie kurzfristig über Ereignisse auf den Interkonnektoren informiert werden und reagieren können. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung (4 Tage nach dem Ausfall) ist leider immernoch nicht der unerwartete Ausfall des Interkonnektors bei Transparency ENTSO-E erschienen. Die fehlende Leistung wurde zunächst auf den offiziellen britischen Seiten und anschließend (stundenbezogen) auf Transparency ENTSO-E bekannt gegeben. Gerade für schnell agierende Marktakteure ergeben sich durch den Informationsvorsprung Potenziale sowohl im Intraday als auch im Bereich der Systemdienstleistungen. Der aktuelle Interkonnektorausfall wie auch der NSL-Ausfall zeigen, dass aus unseren Messungen auf beiden Seiten von Interkonnektoren diese Informationen innerhalb von Millisekunden bereitgestellt werden können.