Einfluß von Großereignissen auf die Netzfrequenz

Einführung

Wir hätten uns gefreut: Wir fiebern dem Spiel entgegen. Wir sitzen gebannt vor den Leinwänden und den Fernsehern. Wir machen das, was man in der Halbzeitpause so macht. Und wir freuen uns, wenn unsere Mannschaft gewinnt und schimpfen auf die anderen, wenn die gewinnen. … und die Netzbetreiber? Die fiebern der Halbzeitpause entgegen und freuen sich, wenn die Spiele vorbei sind, ganz egal, wer gewinnt, – nicht ganz.

Großereignisse wie internationale Fußballturniere lassen sich nicht nur im Fernsehen betrachten sondern auch im Netz, genauer gesagt anhand der Netzfrequenz. Denn bei solchen Ereignissen wird das Verhalten einer Vielzahl von Energieverbrauchern synchronisiert. Pfeift der Schiedsrichter zur Halbzeitpause, beginnt das Gerenne jenseits des Platzes: Wir holen uns ein Bier aus dem Kühlschrank. Wir schieben schnell die Pizza in den Ofen. Wir gehen zur Toilette.

Die Geschichte ist nicht neu. Das Neue ist, dass deterministische Effekte nicht nur bei Finalspielen statistisch nachweisbar sind. Hierzu haben wir systematisch die 64 Spiele der WM 2018 untersucht.

Im Folgenden werden signifikante Effekte der Spiele herausgearbeitet und analysiert.

Deutschland gegen Mexiko

Betrachten wir zum besseren Verständnis des Sachverhalts in Abbildung 1 den Spielverlauf des Vorrundenspiels Deutschland-Mexiko am 17.06.2018. Das Beispiel zeigt die typischen Effekte.

Netzfrequenz während Fußballspiel Deutschland gegen Mexiko

Abbildung 1: Frequenzverlauf (Minutenmittel) Deutschland - Mexiko

Kurz vor Spielbeginn sinkt die Netzfrequenz, ab 17:00 Uhr steigt sie wieder an. Zu Beginn der Halbzeitpause sinkt die Netzfrequenz dann schlagartig stark und steigt anschließend wieder. Weitere Effekte (außer dem 19:00-Uhr-Sprung) sind nicht auszumachen, auch keiner zum Zeitpunkt des 0:1. Jaschinsky weist bereits auf einen zentralen Aspekt hin, der bei der Analyse nicht ausgeblendet werden darf: Neben den Effekten aus dem Spiel dürfen andere deterministische Frequenzeffekte nicht vernachlässigt werden. Wie u.a. hier gezeigt, haben Handelseffekte gerade zu Stundenübergängen einen signifikanten Einfluss auf die Netzfrequenz. Typischerweise zeigen sich positive Frequenzabweichungen gegen 17:00 Uhr und negative gegen 19:00 Uhr. Für 18:00 Uhr gibt es keine klare Aussage. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte sollte der 17:00-Uhr-Entwicklung hier keine Bedeutung beigemessen werden. Es bleibt daher insbesondere die Betrachtung des Verlaufs zur Halbzeitpause.

Alle Spiele im Vergleich

Ist diese Beobachtung, wie in dem Beispiel dargestellt, typisch? Abbildung 2 zeigt den mittleren Frequenzverlauf und das 95%-Konfidenzintervall über alle Spiele. Die Breite des Konfidenzintervalls gibt an, wie sehr die Frequenz im Vergleich aller Spiele je Zeitpunkt schwankt. Während die mittlere Frequenz in der regulären Spielzeit sehr gleichmäßig verläuft (blaue Linie), ist das Konfidenzintervall zu Beginn der ersten Halbzeit (Spielminute 0) und zu Beginn der zweiten Halbzeit (Spielminute 45) breiter. Diese Schwankungen sind weniger bedingt durch die Spielverläufe selbst sondern durch den Stundenwechsel. Denn die Spiele begannen alle zur vollen Stunde, dementsprechend die zweite Halbzeit auch zur vollen Stunde (Die Veränderungen ab Minute 105 kommen daher, dass nur sehr wenige Spiele in die zweite Verlängerung gingen (fünf Spiele) und fast alle an unterschiedlichen Tagen stattfanden. Dadurch weist der Frequenzverlauf während dieser wenigen Zeitfenster relativ große Unterschiede auf).

Mittlerer Frequenzverlauf und 95%-Vertrauensbereich aller Spiele der WM 2018

Abbildung 2: Mittlerer Frequenzverlauf und 95%-Vertrauensbereich aller Spiele der WM 2018

In den 15 Minuten zwischen Halbzeitpfiff und Anpfiff zur zweiten Hälfte ist wieder ein leichter Rückgang der Frequenz zu erkennen. Der langsamere Frequenzrückgang zu Beginn der Halbzeitpause im Vergleich zum Deutschland-Mexiko-Spiel lässt sich dadurch erklären, dass der Halbzeitpfiff nicht exakt nach 45 Minuten erfolgt, sondern über die Spiele variiert. Daher beginnt bei einzelnen Spielen der Frequenzabfall nach 45 Minuten und bei anderen erst später. Im Mittel über alle Spiele sieht es dann so aus, als wäre der Frequenzabfall pro Sekunde (die Rate of Change of Frequency/ RoCoF) geringer.

Bleibt die Frage, ob der Frequenzrückgang zur Halbzeit überhaupt statistisch signifikant im Vergleich zu den stochastischen Frequenzschwankungen über die Zeit ist. Ein sogenannter t-Test zeigt, dass die Frequenz in der Halbzeitpause um 9 mHz signifikant niedriger ist als während der regulären Spielzeit. Dies scheint vernachlässigbar. Zumal damit bspw. definitiv nicht ursächlich ein Regelleistungsabruf induziert werden würde.

Dies ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn die Abweichung von 9 mHz bezieht sich auf die gesamte Halbzeitpause. Die entscheidendere Abweichung in der Spitze beträgt im Mittel knapp 19 mHz mit einer systematischen Unterschreitung des Reglertotbands in der Halbzeitpause von knapp vier Minuten (226 Sekunden). Damit kommt es definitiv zum Einsatz von positiver Regelleistung und zwar im Mittel in allen WM-Spiele.

Mit höherer Granularität bei der Dimensionierung der Sekundärregelleistung (automatic Frequency Restoration Reserve) und den kalendertäglichen Ausschreibungen ergeben sich hier durchaus Potenziale für Regelleistungsanbieter. Zu überlegen ist daher, wann es besonders attraktiv ist, positive Regelleistung anzubieten.

Übliche Analysen zur Unterscheidung von Wochentagen und Wochenenden oder unterschiedlichen Tagesstunden zeigen kaum statistisch signifikante Unterschiede. Lediglich die 25 Spiele ab 20:00 Uhr haben zu einer signifikant höheren Frequenzreduktion in der Halbzeitpause geführt (Kleinere Ausnahmen bilden die Spiele beginnend um 12:00 Uhr (Frankreich – Australien, 16.06.2018, Vorrunde) und um 18:00 Uhr (Peru – Dänemark, 16.06.2018, Vorrunde). Abendspiele wirken sich deshalb so stark aus, weil diese Spiele durch mehr Zuschauer angesehen werden. Damit ergibt sich das Problem aus der Synchronizität des Zuschauerverhaltens.

Bedeutung der Spiele im Turnier für die Frequenz

Statt der Uhrzeit könnte auch die Bedeutung des Spiels im Turnier eine Auswirkung auf die Frequenzabweichung haben. Denn das Finale oder die Halbfinal-Spiele interessieren mehr Zuschauer als Vorrundenspiele. In diesem Sinne haben wir K.O.-Runden-Spiele mit Vorrunden-Spielen verglichen.

Abbildung 3 zeigt den mittleren Frequenzverlauf der Vorrunden-Spiele und der K.O.-Runden-Spiele. Auffallend ist der stärkere Frequenzeinbruch bei den K.O.-Runden-Spielen in der Halbzeitpause im Vergleich zu den Vorrunden-Spielen. Der stärkste Frequenzeinbruch mit rund 28 mHz war der beim Finalspiel. Stärkere Frequenzeinbrüche sieht man auch noch bei den Halbfinalspielen. Alle anderen Spiele (auch das kleine Finale) haben hingegen einen ähnlichen Frequenzrückgang wie die Vorrunden-Spiele.

Diese Beobachtung in der Frequenz spiegelt das Zuschauerinteresse: Weltweit sahen 516,6 Mio. Zuschauer das Finale, 327,5 bzw. 314,6 Mio. Zuschauer sahen die Halbfinale Kroatien-England und Frankreich-Belgien. Laut Einschätzung der FIFA kam ein Viertel der Zuschauer aus Europa.

Vergleich Vorrunden-Spiele und K.O.-Runden-Spiele (Minutenmittel)

Abbildung 3: Vergleich Vorrunden-Spiele und K.O.-Runden-Spiele (Minutenmittel)

Die Mannschaft zählt

Bleibt die Frage, ob neben der Phase des Turniers auch Spiele bestimmter Mannschaften einen Einfluss auf die Frequenz haben. Wirken sich bspw. Deutschland-Spiele stärker aus als England-Spiele? Zur Klärung der Frage haben wir beispielhaft den Einfluss von Spielen mit deutscher, englischer, französischer, kroatischer, portugiesischer und spanischer Beteiligung auf den Frequenzabfall in der Halbzeitpause mit einer Regressionsanalyse untersucht. Wir kontrollieren auf die bereits bekannten signifikanten Einflüsse. Die Ergebnisse fasst die Tabelle zusammen. Regressionsanalyse des Frequenzabfalls zur Halbzeit

Tabelle 1: Regressionsanalyse

*** bedeutet signifikant beim 1-Prozent-Signifikanzniveau, ** beim 5-Prozent- und * beim
10-Prozent-Signifikanzniveau.

Die Regressionsergebnisse zeigen, dass Spiele mit Beteiligung der ausgewählten Länder zu einem um 9 mHz stärkeren Frequenzabfall in der Halbzeitpause führen als alle WM-Spiele gemeinsam. Dabei stechen allerdings lediglich Spiele mit deutscher und mit portugiesischer Beteiligung explizit heraus: Die drei Deutschlandspiele haben zu einem zusätzlichen Frequenzabfall von knapp 40 mHz geführt, die mit portugiesischer Beteiligung zu einem von etwa 12 mHz (Der Effekt bei den Portugal-Spielen ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Spiele mit einer Ausnahme in den Abendstunden stattfanden). Interessanterweise ist der Frequenzabfall bei Spielen mit französischer oder spanischer Beteiligung nicht signifikant unterschiedlich von allen anderen WM-Spielen. Offensichtlich hatten gerade die deutschen Spiele besonderen Einfluss auf die Netzfrequenz und zwar über den Tageszeiteffekt hinaus.

Fazit

Die WM hat gezeigt, welchen Einfluss Fußballspiele – besser: der Schiedsrichter – auf die Netzfrequenz haben. Der Abpfiff der ersten Halbzeit löst den größten Frequenzabfall während eines Spiels aus. Doch nicht jeder Schiri hat gleichviel Macht wie der andere: Wer das Finale pfeift, senkt die Netzfrequenz um rund 25 bis 30 mHz, wer das Halbfinale pfeift nur um rund 20 mHz. Wer ein 20:00-Uhr-Spiel pfeift, senkt die Netzfrequenz um rund 7 mHz. Die Schiedsrichter der Deutschlandspiele haben die Frequenz um knapp 40 mHz gesenkt – immer zusätzlich zu den bereits berücksichtigten 9 mHz bei allen Spielen. Interessanterweise haben Anbieter von Regelleistung bisher noch nicht durch Preisanpassungen reagiert. Das mag daran liegen, dass dies bislang aufgrund der Marktregeln noch nicht attraktiv genug war. Denn erst an 11. Juli 2018 wurde die SRL von einer wöchentlichen auf eine kalendertägliche Auktion umgestellt. Mit der zusätzlichen täglichen Dimensionierung werden die Spiele und damit verbunden Frequenzprognosen interessanter für den Regelleistungsmarkt.

Schade, dass die EM verschoben werden muss. Wir hätten uns spannende Spiele erhofft – im Netz und v.a. auf dem Platz.