Netzfrequenz erreicht kurrzeitig 49,8 Hz am 10. Januar 2019
Vielerorts wird über den Vorfall im europäischen Stromnetz am 10.01.2019 berichtet. Aber was genau ist da eigentlich passiert? Mit Sicherheit kann man im Moment nur sagen, daß die Netzfrequenz um 21:02 Uhr auf 49,80 Hz abgesunken ist, also deutlich außerhalb des Normbereichs lag. Die Sollfrequenz beträgt 50 Hz, mit einem Reglertotband von +/- 10 mHz. Das bedeutet, es gibt einen Unempfindlichkeitsbereich von 49,99 Hz bis 50,01 Hz in dem keine Frequenzregelung erfolgt.
Nun war aber vermutlich von Frankreich (Meldung der französischen Energieaufsicht) ausgehend eine Störung des Stromnetzes aufgetreten. Hier kam es zu einer Unterversorgung der Verbraucher, was sich in der Netzfrequenz des gesamten europäischen Stromnetzes zeigte. In Folge der Unterfrequenz bzw. Unterversorgung des Stromnetzes wurde ein automatischer Lastabwurf von Industriebetrieben in Frankreich notwendig, um die Netzfrequenz zu stabilisieren. Grundsätzlich breiten sich Frequenzstörungen sehr schnell aus und treten daher über Europa hinweg nahezu synchron auf. Die Stärke der Ausprägung ist jedoch regional unterschiedlich verteilt. So war in Spanien die Frequenzabweichung von der 50 Hz Nennfrequenz mit 49,789 Hz (-211 mHz) deutlich stärker, als bspw. in Süddeutschland mit 49,802 Hz (-198 mHz).
(Legende: grün - Lleida, Spanien; orange - Donauwörth, Deutschland)
Nun fragen Sie sich sicher, warum zeigt sich das in der Frequenz?
Erzeugung und Verbrauch von elektrischem Strom müssen sich stets die Waage halten. Das heißt, der Strom der gerade in diesem Moment verbraucht wird, muss auch genau zu diesem Zeitpunkt erzeugt werden. Die Sollfrequenz in Europa beträgt wie oben geschrieben 50 Hz. Kommt es jedoch zu einem Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch, weicht die Frequenz vom Soll ab. In diesem konkreten Fall lag in der Spitze der Störung die Frequenz bei 49,789 Hz, also 211 mHz unter Nennfrequenz von 50 Hz. Das wiederum heißt, die Einspeisung durch Kraftwerke war deutlich niedriger als die von Verbrauchern aufgenommene Leistung. Dieser Einspeiseunterschuss hatte ein Absacken der Frequenz zur Folge, was sich aufgrund der hohen Vermaschung in Europa sofort in allen Teilen des europäischen Stromnetzes zeigte (die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Störungen beträgt ca. 1100 km/s).
Da der Frequenzeinbruch kurz nach dem Stundenwechsel nahe dem ENTSO-E Auslegungsfall von +/-200 mHz (Kapitel A-D3.1.) war, kam es als Gegenreaktion zur Netzstabilisierung zu dem vorgenannten automatischen Lastabwurf, bei dem durch den französischen Stromnetzbetreiber RTE automatisiert Industrieverbraucher mit ca. 1500 MW abgeworfen wurden.
Im Vorlauf zum Stundenwechsel begann die Frequenz aufgrund des Stromhandels langsam abzusinken, was aber in den Abendstunden kein ungewöhnliches Verhalten ist. Hintergrund für diesen stündlichen Frequenzeinbruch ist, daß ein Übergang von Kraftwerk A nach Kraftwerk B stattfindet. So hat z.B. Kraftwerk A für die Zeit von 20:00 bis 21:00 eine bestimmte Leistung verkauft und Kraftwerk B übernimmt ab 21:00 die Versorgung. Da eine solche Übergabe nicht ganz einfach zu bewerkstelligen ist, kommt es zu einem kurzen Absinken der Frequenz. Dieses Phänomen wiederholt sich jede Stunde und zeigt sich in einem typischen Muster eines Frequenzverlaufs innerhalb eines Tages. Kurz nach dem Stundenbruch um ca. 21:01 Uhr am 10.01.2019 begann die Frequenz jedoch unter 49,9 Hz zu fallen, um dann um 21:02 den Tiefstand von 49,78 Hz zu erreichen. Da vermutlich die zu diesem Zeitpunkt aktivierte Primärregelleistung nicht ausreichte, um die Frequenz wieder zu stabilisieren, mussten große Verbraucher aus der Industrie von RTE vom Netz getrennt werden. Ein solcher Lastabwurf wirkt ähnlich einer Adrenalinspritze (schlagartiges Freiwerden von Erzeugerkapazitäten) auf das Stromnetz und hat zusammen mit der Einspeisung von Primärregelleistung einen Netzzusammenbruch verhindert. In der weiteren Folge stabilisierte sich das Stromnetz wieder und die Frequenz kehrte kurz darauf wieder ins normale Frequenzband zurück. Der Blackout wurde abgewendet.
Aussagekraft des Phasenwinkels - was können wir daraus ablesen?
Der Phasenwinkel, auch Spannungswinkel genannt, ist ein Instrument um Leistungsflüsse von A nach B sichtbar zu machen. Mit unserem WAMS zeichnen wir über Europa hinweg die Frequenz und den Phasenwinkel auf, so daß Lastflüsse zwischen Stationen oder auch Leitungsumschaltungen sichtbar werden. Im nachfolgenden Diagramm des Phasenwinkels lassen sich nicht nur länderübergreifende Lastflüsse, sondern auch Primärregelleistungsausschläge erkennen.
In dem Schaubild sehen wir, daß im Vorlauf zum Stundenwechsel die Station in Lleida (Spanien) gegenüber Schondorf (Süddeutschland) erst eine Verringerung des Phasenwinkels zeigt, also die Winkeldifferenz zwischen der Meßstation in Süddeutschland und Spanien fällt. Im weiteren Verlauf ab ca. 20:55 Uhr, kurz vor dem Stundenbruch, steigert sich die Winkeldifferenz jedoch massiv um fast 50°. Das bedeutet, daß sich die Lastflüsse geändert haben und Spanien nach dem Stundenwechsel Leistung aufnahm. Grund für eine solche Winkeländerung könnte zum einen sein, daß das Kohlekraftwerk Litoral 1 um 21:00 Uhr ausfiel, aber wohl auch der grenzüberschreitende Stromhandel.
Bei einer Betrachtung der Import- und Exportbilanz des französischen Netzbetreiber RTE lässt sich gut erkennen, daß Frankreich am 10.01.2019 um 20:00 Uhr netto 4261 MW importierte und um 21:00 nur noch 947 MW netto bezog, also die vom Ausland importierte Leistung mit dem Stundenwechsel um 3314 MW sank (eine Leistung, die in der Größenordnung von ca. 3 AKW bzw. 4 Steinkohlekraftwerken liegt).
Wie sich in der Grafik der französischen RTE erkennen lässt, wurden um 20:00 Uhr noch 2246 MW aus Spanien importiert, aber mit dem Stundenwechsel um 21:00 kehrte sich der Stromfluß um und es wurden 2117 MW nach Spanien exportiert, also ein Hub von über 4,3 GW! Daher auch die Änderung im Phasenwinkeldiagramm bei dem in lila eingezeichneten Phasenwinkel der Station in Nordspanien. Der in grün eingezeichnete Phasenwinkel der Meßstation in Südfrankreich (Aufstellort nahe Toulouse und des dortigen AKW Golfech) lässt kurz nach 21:00 bis 21:02 Uhr die Gegenreaktion zum Frequenzeinbruch erkennen, da vermutlich vom nahen AKW massiv Primärregelleistung aufgewandt wurde, um das Netz zu stabilisieren. Der Phasen- oder Spannungswinkel ist also neben der Frequenz ein interessantes Instrument, um Lastflüsse oder Ausfälle sichtbar zu machen und diese zu verorten.
Im Gegensatz zum Vorfall im November 2006 haben diesmal die Schutzmechanismen gut funktioniert und es kam zu keinen größeren oder gar flächendeckenden Versorgungsunterbrechungen.
Stand 20.01.2019