Nummer 4

Mittlerweile gehören sie fast schon zur Normalität: Am 12.12.2023 kam es wieder zu einem ungeplanten Interkonnektor-Split. Dieses Mal traf es den ElecLink, der 1000 MW durch den Eurotunnel zwischen Frankreich und Großbritannien transportiert. Wie die folgende Abbildung zeigt, sackte zwischen 13:30:53 und 13:31:00 Uhr (UTC) die Netzfrequenz in Großbritannien um rund 300 mHz ab.

Abbildung 1

Abbildung 1: Vergleich Frequenz UCTE - UKTSOA

In Kontinentaleuropa kam es zu einem leichten Frequenzsprung um rund 30 mHz. Dies bestätigt den mittlerweile veröffentlichten Exporteinbruch von 1000 MW aus Kontinentaleuropa ins britische System. Offensichtlich war zum Ausfallzeitpunkt die angebundene Momentanreserve bzw. synthetische Momentanreserve in Kontinentaleuropa etwa um den Faktor 10 größer als in Großbritannien. Laut Gridwatch-Veröffentlichungen hat der Nettoexport vom UCTE- ins UK-Synchrongebiet über ElecLink zum Ausfallzeitpunkt fast ein Viertel des gesamten Nettoexports betragen.

Auswirkungen im britischen System

Aus unserer Sicht am spannendsten ist die Betrachtung der Auswirkungen im britischen Netzgebiet. Abbildung 2 zeigt die Phasenwinkeldifferenz zwischen unseren Messstationen in London, Buckingham und Manchester zu Strathclyde im Norden der Insel.

Abbildung 2

Abbildung 2: Direkte Auswirkung des Ausfalls im britischen System

Offensichtlich hat sich der Ausfall des Interkonnektors stärker im Süden Englands ausgewirkt. Der Region um London kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Abbildung 2 zeigt, dass der Ausfall des Interkonnektors eine Oszillation im britischen Netz ausgelöst hat. Zunächst kam es kurzfristig zu einem Absacken des Phasenwinkels zu Beginn des Frequenzabfalls. Höhe und Breite der Amplituden belegen, dass die Oszillation am stärksten im Südwesten Englands war und dann nach Norden und Nordosten hin kontinuierlich abgenommen hat. Nach ziemlich genau 1,25 Minuten wirkten dann die Gegenmaßnahmen, wobei v.a. Erzeugungsanlagen weiter nördlich das Netz wieder stabilisieren konnten.

Erst nach ca. 20 Minuten hat sich das Ungleichgewicht zwischen nördlicheren Netzteilen und im Südwesten und der Region um London wieder auf ein übliches Maß reduziert. Dies lässt sich an der längerfristigen Entwicklung der Phasenwinkeldifferenz ablesen (s. Abbildung 3).

Abbildung 3

Abbildung 3: Längerfristige Auswirkung des Ausfalls im britischen System

Hat sich der Interkonnektorausfall auf die Märkte ausgewirkt?

Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, kam es zu einem massiven Frequenzeinbruch im britischen Netzgebiet, der sich lokal sehr unterschiedlich ausgewirkt hat. Ob sich dies auch auf Märkte ausgewirkt hat und welchen Effekt ein solches Ereignis auf Erzeuger, Speicher und Großverbraucher hat, ist dabei noch nicht geklärt. Während der Day-Ahead-Handel bereits geschlossen ist, schlägt sich ein solches Ereignis in den kurzfristigeren Märkten nieder. Exemplarisch haben wir die Regelleistungsmärkte betrachtet.

Eine Zusammenfassung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Austausch zwischen Großbritannien und den benachbarten Synchrongebieten bietet Abbildung 4. Dort dargestellt ist 1. die Systemimbalanz, also die fehlenden oder überschüssigen Energiemengen im britischen System, 2. der Ausgleichsenergiepreis, der Preis für die notwendige Beschaffung oder Reduktion der Fehlmengen, vergleichbar mit dem deutschen reBAP, und 3. der Netto-Export. Der Netto-Export entspricht dem, was aus dem britischen Netzgebiet exportiert wurde abzüglich dem, was ins britische Netzgebiet im selben Zeitraum importiert wurde. [Anmerkung: Die Halbstundenwerte wurden durch gleichmäßige Verteilung der Stundenwerte angenähert, da bis auf den niederländischen Austausch lediglich Stundenwerte vergleichbar veröffentlicht werden.]

Insgesamt war das britische Netzgebiet über den 12.12.2023 weitgehend short. Auffallend ist, dass das System in den Stunden vor und nach dem Ausfall eine Überproduktion aufwies. Daher scheint es in der längerfristigen Betrachtung in Abbildung 4 sogar so, als habe der Interkonnektorausfall zufälligerweise systemseitig stützend gewirkt. Er hat nämlich die Überproduktion im Zeitraum des Ausfalls auf annähernd 0 gedrückt. Der Ausgleichsenergiepreis gibt allerdings die tatsächliche Wirkung wieder: Im Ausfallzeitraum schoss dieser nämlich von 63 auf 114 EUR/MWh und fiel in der halben Stunde danach wieder auf 63 EUR/MWh zurück.

Für Kurzfristakteure wie flexible Anbieter oder Batteriespeicher ergab sich daher ein enormes Erlöspotenzial, wenn sie auf den Interkonnektorausfall frühzeitig und schnell reagiert hätten.

Abbildung 4

Abbildung 4: System-Ungleichgewicht, Netto-Export und Ausgleichsenergiepreis

Festzuhalten bleibt:

Es kommt häufiger zu unerwarteten Ausfällen von Interkonnektoren. Allein im letzten halben Jahr hatten wir vier große Ausfälle sowie eine Reihe von kleineren in unserem Alertsystem identifizieren können, die anschließend auch offiziell bestätigt wurden.

Die Ausfälle haben eine enorme Auswirkung in Großbritannien, weniger in Kontinentaleuropa und weniger in Skandinavien. Sie wirken typischerweise stärker in kleineren System mit weniger Schwungmasse.

Die Ausfälle bieten enormes Potenzial gerade für moderne, hoch flexible Händler. Dabei wirken nach einem Ausfall typische Marktgeschäfte sogar systemdienlich. Denn Fehlmengen durch einen Ausfall führen zu kurzfristig hohen Preissignalen und damit zu einem notwendigerweise lokalen Ausgleich der Fehlmengen.