Load Shedding in Südafrika

Anfang 2023 mehren sich die Hinweise in seriösen Medien hinsichtlich der kritischen Energieversorgungssituation in Südafrika (bspw. Süddeutsche, 17.01.2023, Tagesschau, 09.02.2023, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.02.2023). Auch in der weltweiten Presse wird spätestens seit Ende 2022 auf die Herausforderungen in Südafrika hingewiesen. Wiederholt ist von langanhaltenden Stromausfällen auch in Ballungszentren wie Johannesburg, Kapstadt oder Pretoria die Rede, teilweise von bis zu 11 Stunden.

Wir nehmen diese Artikel zum Anlass, um die Verfügbarkeitssituation in Südafrika während des letzten Jahres hier zu diskutieren. Dazu nutzen wir Daten unserer Messstation in Stellenbosch, östlich von Kapstadt. Uns ist bewusst, dass diese Betrachtung lediglich eine Region abbilden kann. Dennoch sind wir überzeugt, dass diese Daten etwas mehr Einblicke in die tatsächliche Situation in Südafrika bieten.

Regulierung und der Quasimonopolist Eskom

Das südafrikanische Netz unterscheidet sich in zentralen Punkten vom dem in Europa. Südafrika ist wie Deutschland Teil eines Verbundsystems, dem South African Power Pool (SAPP). Anders als in Kontinentaleuropa existieren allerdings nur wenige parallele Verbindungsleitungen in diesem Verbundsystem. Das Übertragungsnetz Südafrikas verbindet große Ballungszentren direkt mit den großen Erzeugungszentren im Nordosten und Südwesten (vgl. folgende Karte). Gleichzeitig existieren in Südafrika weniger strenge Vorgaben zur Netzsicherheit und -stabilität. Geringerer regulatorischer Druck führt zu ausbleibender Stringenz in der Frequenzhaltung.

Der südafrikanische Energieversorger Eskom, ein staatlicher Quasi-Monopolist und bis vor kurzem vollständig vertikal integriertes Verbundunternehmen, führt bereits seit längerem rollierende Lastabschaltungen durch. Bei diesem sogenannten Load Shedding werden nacheinander ganze Regionen und Großstadtviertel in Kapstadt, Pretoria oder Johannesburg mit vorheriger Ankündigung teilweise über Stunden spannungsfrei geschaltet. Dies wurde deshalb notwendig, weil Eskom nicht durchgehend genügend Energie zur Lastdeckung erzeugen kann.

Der auf Kohleerzeugung aufgebaute Kraftwerkspark Südafrikas ist rund 40 Jahre alt. Mittlerweile fallen regelmäßig Kraftwerksblöcke aus, weil notwendige Re- und Ersatz-Investitionen insbesondere unter der Regierung des vorherigen Präsidenten Zuma (2009-2018) ausblieben. Laut Eskom-Manager Jan Oberholzer müssen noch verfügbare Kraftwerke an ihrer Kapazitätsgrenze erzeugen, um Kraftwerke in der Notabschaltung zu ersetzen (vgl. Le Monde, September 23, 2022).

Daten der Analyse

Das südafrikanische Netz wird wie das europäische Netz bei 50 Hertz betrieben. Folgender Vergleich vom 3. Januar-Mittwoch, 12:00 Uhr bis 12:05 Uhr (UTC), zeigt, dass die Netzfrequenz in Südafrika wesentlich stärker schwankt als in Kontinentaleuropa oder auch in kleineren Netzen wie Großbritannien oder Skandinavien (Abbildung 1).

Abbildung 1

Abbildung 1: Vergleich Frequenzverlauf

Die mittlere Schwankungsbreite ausgedrückt als Standardabweichung pro Hertz lag im Januar 2023 bei 0,24 Prozent. Zum Vergleich: In Kontinentaleuropa lag sie im gleichen Zeitraum bei 0,04 Prozent.

Die Messdaten wurden von einer Gridradar-eigenen Messstation in Stellenbosch aufgezeichnet. Sie wurde im April 2022 in Betrieb genommen und misst die Netzfrequenz mit einer Abtastrate von 10 Messungen pro Sekunde.

Langfristanalyse der Ausfallsituation

Im Zeitraum zwischen 17. April 2022 und 10. Februar 2023 kam es zu 539 Ausfällen von einer Länge über 1 Minute. Die durchschnittliche Ausfalldauer dieser Stromausfälle betrug 19,42 Minuten, im Maximum lag sie bei einer knappen Stunde. Abbildung 2 zeigt die Ausfalldauer in Minuten je Stunde im Beobachtungszeitraum.

Abbildung 2

Abbildung 2: Dauer Stromausfälle

Es lassen sich drei Zeiträume ausmachen, in denen es besonders geballt zu Stromausfällen kam: von Mitte Juni bis Mitte Juli, von Anfang September bis in die zweite Oktoberhälfte und dann ab Anfang November. Die Stromausfälle folgen nicht gleichmäßigen Mustern. Eskom gibt zwar im Voraus Zeitfenster der Versorgungsunterbrechung an. Allerdings können die Bevölkerung und Unternehmen Unterbrechungen davon ausgehend nicht planen: Dauer und Zeitfenster verschieben sich vielmehr innerhalb der angekündigten Zeiträume und darüber hinaus.

Die weitergehende Analyse der Daten zeigt, dass es nicht nur zu länger andauernden Stromausfällen kommt. Wir registrieren auch wiederholt Reihen von kurzen Unterbrechungen innerhalb einzelner Stunden. In Stunden mit Ausfällen finden im Mittel mehr als 6 separate Unterbrechungen statt. In der Spitze haben wir 34 Unterbrechungen innerhalb einer Stunde registriert. Die Vielzahl solcher kurzen Unterbrechungen trifft besonders stromabhängige Industrien und High-Tech/ IT-Dienstleister besonders: Motoren von elektrischen Maschinen benötigen eine Anlaufzeit, bis sie in Betriebsgeschwindigkeit sind. Erst dann können sie genutzt werden. Kommt es zu häufigen Anfahrvorgängen und abrupten ungeplanten Stopps in kurzer Reihe, verschleißen elektrische Maschinen umso schneller. Noch schlimmer sind solche unplanbare kurze Unterbrechungen für Server ohne Batteriepuffer oder rechenintensive Prozesse. Unternehmen können mit einer solchen Unplanbarkeit nicht produzieren. Daher wirkt sich die Unplanbarkeit langfristig auf die Entwicklung der Industrie und damit das Wirtschaftswachstum in Südafrika aus.

Wochen- und Tagesauswertung

In Abbildung 3 sind die Anzahl (blau) und die Gesamtlänge (gelb) der Ausfälle pro Woche dargestellt.

Abbildung 3

Abbildung 3: Vergleich Stromausfälle pro Kalenderwoche

In Wochen mit besonders vielen Ausfällen ist die Ausfalldauer insgesamt höher. Ausnahmen hiervon zeigen die Zeiträume zwischen Kalenderwoche 20 und 23 2022 und die Kalenderwochen 5 und 6 2023. In diesen Zeiträumen kam es zu einer besonderen Häufung der besagten kritischen kurzen Unterbrechungen.

Die Analyse einzelner Wochentage in Abbildung 4 lässt ebenfalls keine klassischen verbrauchsgetriebenen Muster der Ausfälle erkennen.

Abbildung 4

Abbildung 4: Vergleich Stromausfälle pro Wochentag

Verbrauchsgetriebene Muster wären zu erwarten, wenn die Erzeugung einer erhöhten Nachfrage nach Energie nicht hinterherkäme. Über die Woche verteilt scheinen an Tagen mit durchschnittlich mehr Stromausfällen (blau) die Ausfälle kürzer zu sein (gelb) und umgekehrt.

Eine Herausforderung für Verbraucher ist zudem, dass die Lastabschaltungen kritische Tagesstunden ignorieren. Fügen wir der Tagesbetrachtung die Stunden hinzu, lassen sich auch über den Tagesverlauf keine gleichbleibenden Muster erkennen (Abbildung 5).

Abbildung 5

Abbildung 5: Dauer von Stromausfällen pro Tagesstunde

Erneuerbare als Ausweg?

Das südafrikanische Energieministerium sowie öffentliche Kapitalgeber versuchen seit Mitte des letzten Jahrzehnts mehr Wettbewerb durch den Ausbau von Erneuerbaren zu schaffen. Durch die Einbindung ausländischer, öffentlicher und privater Investoren als Independent Power Producers (IPPs) wurden zwischen 2010 und 2019 rund 10 GW neu installiert. Dennoch überwiegt die Kohleerzeugung mit rund 90 Prozent der gesamten Energieerzeugung.

Ende 2020 hat der amtierende Präsident Cyril Ramaphosa die Klima-Kommission PCC ernannt unter anderem, um den Erneuerbaren-Ausbau zu forcieren. Nach Angaben von tagesschau.de soll bis 2050 die Erneuerbaren-Erzeugung dominieren. Hierzu müssten rund 150 GW an Wind- und PV-Anlagen innerhalb von 25 Jahren zugebaut werden, also rund 6 GW pro Jahr. Eine weitere Herausforderung bei der Umstellung besteht darin, dass Eskom als zentraler Partner bei der Bereitstellung von Energie aus neuen Anlagen eingebunden werden muss. Zwischen einem IPP und Eskom muss ein sogenanntes Purchase Power Agreement (PPA) geschlossen werden. Eskom kauft durch diesen Vertrag zunächst die Energie des IPP und veräußert sie dann weiter. Dies versetzt Eskom in eine privilegierte Wettbewerbsposition. Um Wettbewerb adäquat entwickeln zu können, müsste Eskom hingegen als gleichwertiger Wettbewerber mit IPPs verstanden werden. Aufgrund der existierenden Erzeugungskapazitäten würde Eskom aber selbst dann noch über einen Wettbewerbsvorteil verfügen.

Der Vergleich Deutschlands mit Südafrika hinkt

Einzelne Medien nehmen das Beispiel Südafrika als Aufhänger, um auf das wachsende Potenzial von Stromausfällen in Deutschland aktuell hinzuweisen. Hier muss aber klar zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Ausgangssituationen differenziert werden:

  1. Deutschland ist im Zentrum des größten Verbundnetzes weltweit, dem UCTE-Gebiet mit mehr als 500 Millionen angeschlossenen Verbrauchern. Südafrika ist mit über 76 Prozent des Gesamtverbrauchs Teil des SAPP, ebenfalls ein Verbundsystem. Das deutsche Übertragungsnetz verfügt über verteilte große Erzeugungszentren und ist sehr stark vermascht. Das südafrikanische Versorgungssystem ist durch große Erzeugungszentren im Nordwesten und Südosten und einzelnen, nicht vermaschten Übertragungsnetztrassen zu großen Verbrauchszentren über weite Distanzen geprägt.
  2. Die aktuelle Situation in Südafrika ist auf mehrere langfristig sich entwickelnde strukturelle Probleme zurückzuführen. Eskom war bis vor kurzem ein vollständig vertikal integrierter Energiemonopolist, bei dem Energieerzeugung, -transport und -verteilung in einem staatlich kontrollierten Unternehmen vereint waren. Enge staatliche und politische Verflechtung gepaart mit Korruption und fehlender strategischer Entwicklung des Unternehmens hatten unzureichende Infrastrukturinvestitionen in allen drei Teilbereichen des Unternehmens zur Folge. Eskom selbst hat gegenüber der Regierung Zuma auf die Notwendigkeit dieser Investitionen erfolglos hingewiesen. Die Erzeugungsinfrastruktur in Südafrika ist nach Hinweisen des Chief Operational Officers in Le Monde 2021 weitgehend über 40 Jahre alt. Mangelnde Instandhaltung und fehlende Re-Investitionen führen aktuell zu massiven Ausfällen einzelner Kraftwerksblöcke. Die fehlende Erzeugungsleistung wird einerseits durch einen erhöhten Einsatz von anderen Kraftwerksblöcken bis an ihre Grenzen ausgeglichen. Andererseits ist Load Shedding notwendig, da der Verbrauch nicht mehr gedeckt werden kann.
  3. Die Europäische Regulierung und Wettbewerbspolitik gilt weltweit als Vorbild in der Separierung zwischen Markt und Netz. Dies sichert einerseits einen adäquaten Wettbewerb in der Erzeugung und fordert gleichzeitig eine strikte Trennung zwischen wettbewerblich agierenden Unternehmen und erforderlichen Monopolen im Netzbereich und damit in der Systemführung. In Europa wurde die Trennung zwischen Erzeugung und Netz bis spätestens 2009 mit dem dritten Regulierungspaket vollends vollzogen. Entsprechende Schritte wurden in Südafrika hinsichtlich Eskom erst Ende 2021 durch die Trennung der Geschäftsbereiche Erzeugung und Transport eingeleitet. Die Abspaltung der Verteilnetze folgte im Dezember 2022 (Reuters, 2021).

Fazit

Unsere Analysen weisen auf eine Vielzahl an Versorgungsunterbrechungen in Südafrika aufgrund von Load Shedding hin. Anders als in der Presse anhand von Einzelfallsituationen wiederholt anekdotisch herausgearbeitet, handelt es sich dabei nicht (nur) um langanhaltende Ausfälle. Es dominieren unplanbare kurze Versorgungsunterbrechungen mit zwischenzeitlicher kurzer Wieder-Verfügbarkeit. Dieser Unterschied ist besonders kritisch für komplexere Erzeugungsprozesse und die Entwicklung von High-Tech-Unternehmen oder IT-basierten Dienstleistern in Südafrika.

Das mittlerweile notwendige Load Shedding in Südafrika lässt sich nach Veröffentlichungen unterschiedlicher Quellen strategischen Versäumnissen in der Vergangenheit zuordnen, die in dieser Form nicht in Europa bzw. Deutschland vorkommen. Deutschland ist im Zentrum des kontinentaleuropäischen Verbundsystems durch verlässliche Kooperationen mit Nachbarländern geschützt. Großflächige geplante Stromausfälle (als Mittel zur Lastreduzierung) wie in Südafrika sind in der aktuell absehbaren Situation in Deutschland nicht notwendig. Was in Deutschland (wie in jedem Land) passieren kann, sind unerwartete Stromausfälle oder Stromausfälle in Folge von bewusster Manipulation. Hierauf bereiten sich Netzbetreiber wie Erzeuger aktuell bestmöglich vor. Zu geplanten Abschaltungen kann es in Deutschland unter normalen Bedingungen (keine Kriegssituation) dann kommen, wenn dem dargebotsabhängigen Erzeugungsproblem der Erneuerbaren auf absehbare Zeit nicht adäquat durch Speicherlösungen in Kombination mit Sektorenkopplung (innerhalb und außerhalb Deutschlands) begegnet wird.