Abtrennung der Iberischen Halbinsel vom UCTE System - Netzfrequenz in Spanien sinkt am 24.07.2021 stellenweise auf 48,66 Hz
Am 24.07.2021 um 16:36 Uhr (CEST) kam es zu einer Abtrennung der Iberischen Halbinsel vom europäischen UCTE-Stromnetz. An unserer Messstation in Lleida (nördl. Spanien) sank die Netzfrequenz auf bemerkenswerte 48,66 Hz, in Malaga (südl. Spanien) sank die Frequenz auf 48,99 Hz ab - immerhin ein Frequenzunterschied von ca. 340 mHz! Der Abstand zur Nennfrequenz von 50 Hz betrug also ca. 1,4 Hz.
ENTSO-E/ der deutsche ÜNB Amprion veröffentlichten kurz nach der Resynchronisierung des Systems einen Tweet, dass der Zwischenfall gerade untersucht würde (Amprion tweet). Kurz danach informierte die ENTSO-E auf ihrer Website, dass die Ursache vermutlich ein Waldbrand an einer der französisch-spanischen Verbindungsleitungen gewesen sein könnte (ENTSO-E publication). Medienberichten zufolge hat ein Flugzeug die Leitungen einer der Haupttrassen zwischen Frankreich und Spanien beschädigt. Dadurch wurden kurzfristig große Regionen Spaniens und Portugals nicht mehr mit Strom versorgt (Bayrischer Rundfunk, SRF).
Die folgende Abbildung zeigt den entsprechenden Lastfluss zwischen Frankreich und Spanien .
Vor der Netzaufspaltung ist ein kontinuierlicher Fluss von über 2000 MW von Frankreich nach Spanien über den Tag zu beobachten. Durch die Netzaufspaltung in der Stunde zwischen 16:00 und 17:00 Uhr wurde der Fluss unterbrochen. Interessanterweise veröffentlichte die ENTSO-E für die folgenden beiden Stunden einen Fluss von annähernd 0 MW (in die entgegengesetzte Richtung). Dies ist deshalb überraschend, weil die Resynchronisierung kurz nach 17:09 Uhr schon wieder stattfand. Unklar ist, warum kein „forced line outage“ durch den französischen ÜNB RTE oder den spanischen ÜNB REE gemeldet wurde (selbst einen Tag nach dem Ereignis noch nicht, Update: die Veröffentlichung fand am 26.07.2021 statt).
Anregung der Störung um 16:35:24?
Wir vermuten, daß es zur Anregung der Störung schon ein paar Sekunden früher kam, siehe die kleinen, kurzen Frequenzstörungen die von unserem Messgerät in Lleida beginnend um 16:35:24 (CEST) aufgezeichnet wurden.
Automatischer Lastabwurf nach 5 s
Bei Auftreten von starken negativen Frequenzabweichungen, wie im hiesigen Fall, herrscht ein massiver Leistungsunterschuß in dem betroffenen Netzabschnitt vor. Nachdem sich Erzeugung und Verbrauch für eine stabile Frequenzhaltung die Waage halten müssen, bleibt in solchen Fällen nur noch ein automatisierter Lastabwurf um die Frequenz wieder in die Nähe des Sollbereichs zu bringen. Ein Lastabwurf kommt also einer Art Adrenalinspritze für das System gleich - dies verhindert ein weiteres Absinken der Netzfrequenz und somit möglicherweise einen Blackout aufgrund von Unterfrequenz. Denn sollte die Netzfrequenz zu schnell zu weit sinken, trennen sich ab einer gewissen Schwelle die Kraftwerke vom Netz, als Folge dann Stromausfall!
Zusammenschaltung der beiden Netze
Die Zusammenschaltung der Iberischen Halbinsel mit dem restlichen UCTE Netz erfolgte trotz einer beträchtlichen Frequenzdifferenz von ca. 220 mHz! Im Nachgang zu der Zusammenschaltung kam es zu erheblichen Leistungs- und Frequenzpendelungen. Wir lassen hier ein Bild sprechen:
Ausgehend von einer überschlägigen Rechnung erzeugt 1 GW Erzeugungsabweichung eine Frequenzabweichung von ca. 50 mHz, im Falle der vorgenannten Frequenzabweichung von über 220 mHz zwischen den beiden Netzabschnitten muß eine Ausgleichsleistung von ca. 4 GW gefloßen sein. Dies könnte die nachfolgenden Schwingungen nach der Zusammenschaltung erklären. Auch würde dies den kurzzeitigen starken Abfall der Frequenz bei unserem südfranzösischen Meßgerät in Aignan erklären.
Wir gehen davon aus, dass die Oszillationen auch den 1010 MW Ausfall des Pumpspeicherkraftwerks La Muela nahe Saragossa an der französisch-spanischen Grenze 10 Minuten nach der Resynchronisierung verursacht haben.
Sobald uns mehr Informationen vorliegen, bzw. wir diese analysiert haben, werden wir hier mehr veröffentlichen.
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Stand 26.07.2021 um 09:00 Uhr